Klangfarbenmelodien – eine künstlerische Dimension

Liebe Leser, liebe Inskribienten, liebe Musiker, liebe Künstler, liebe Welt, liebe Gemeinschaft !


Arithmetik, meine Damen und Herrn ist die hohe Kunst und Wissenschaft der Zahlen, der Kunst des Zählens, des Rechnens mit den natürlichen Zahlen. Negative Zahlen, Brüche und der gleichen zählen hier nicht dazu. Gelehrt werden im Fach Arithmetik nach der Erforschung des Zahlenbegriffs die Grundrechenarten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division.
Arithmetik ist der zumeist erste Teil der sieben freien Künste, die Verbindung von Quadrivium und Trivium, die Lehrbasis des Mittelalters, die heute noch in ganzheitlichen Bildungssystemen immer wieder zu finden und von unermesslichem Wert ist. Der Arithmetik folgt die Geometrie (inclusive der heiligen Geometrie), dann die Musik, anschließend die Astronomie. Das Trivium mit den sprachlichen Begriffen Rhetorik, Grammatik und Logik folgt.

Alles das sind Künste, freie Künste, beschäftigen sich mit dem freien, sinnhaften der einzelnen Bereiche, auch nach den mathematischen Künsten mit der Logik, Rhetorik und Grammatik einer Sprache wie der Musik.

Allgemeine Bestandteile der Musik

Musik besteht aus Tönen, aus Klängen und aus Geräuschen – wobei die Geräusche erst Mitte des 20. Jahrhunderts Teil dieser Gebilde wurden. Diese drei Bereiche sind so etwas wie das Ausgangsmaterial, wenn man es nüchtern so bezeichnen mag.
Im 20. Jahrhundert kamen dann die synthetisch erzeugten akustischen Ereignisse hinzu: der Synthesizer, der Computer, die nach wie vor im Konzertleben der klassischen Musik eine untergeordnete Rolle spielen.
Die meiste Musik spielen wir Musiker nach wie vor, so wie vor einigen Wochen etwa die Carmina Burana von Carl Orff, auf natürlichen Instrumenten.
Musik nach Noten, den über viele Jahrhunderte entwickelten Zeichen für die Töne, für die Klänge die gesungen und gespielt werden. Gespielt auf Instrumenten, die von den jeweiligen Kulturen in verschiedenen Bereichen entwickelt und gebaut wurden, von Menschen die dies gelernt haben, die dies täglich üben und dies mit dem ganzen eigenen Können, dem Fühlen und Spüren von Körper, Geist und Seele in die Welt bringen und die Menschen damit berühren, erfreuen und den Sinn des Lebens erfahren lassen.

Ein umfassender Bereich: die KlangFarbe

Wahrscheinlich werden Sie dies alles kennen und sich fragen was ich damit bezwecke. Seit einigen Jahren taucht in meinem Fach der Musik, des Komponierens, des Therapierens ein Begriff auf, dem scheinbar eine immer größere Bedeutung zugemessen wird. Es ist der musikalisch-inhaltlich ganz untergeordnete Begriff der Frequenz.

Dieser Begriff stammt aus der Physik, gehört musikalisch in den Bereich der sogenannten Tonhöhe, definiert mit einer Zahl und einem Begriff (Hertz) eine Schwingung eines Teils eines musikalischen Tons. Und er ist Teil des umfassenden Bereichs der KlangFarbe.
Nehme ich diesen ersten musikalischen Begriff, den des musikalischen Tones, dann ist ein Ton ein tönendes, ein klingendes Gebilde – welches in der Terminologie aus einer oder mehreren Klangfarben besteht – eine Lautstärke oder genauer einen Lautstärkenverlauf und eine Tonhöhe besitzt und eine Artikulation sein eigen nennt.

Die musikalischen Begriffe, die ich gerade dargestellt habe, besitzen eigene Bezeichnungen, bei der Lautstärke zum Beispiel ausgehend von “piano = leise” und “forte = laut” mit diversen weiteren Differenzierungen. Diese Beschreibung ist niemals ein statischer Vorgang, ein quasi „angehaltener“ Ton, sondern immer ein zeitlicher Vorgang. Und in diesem zeitlichen Vorgang verändern sich die Bestandteile der Musik immer wieder in unterschiedlichem Maße. Das kann am Instrument liegen, am Material, an der Komposition, an der Besetzung des Werkes, etc.

All das macht es besonders naturwissenschaftlichen Fächern oft schwer, mit ihren Mitteln und ihren Bedingungen in unser Fach einzugreifen und Schlüsse daraus zu ziehen, da wir – wir künstlerischen Musiker – mit allen, auch schriftlich notierten Ausformulierungen samt den ästhetischen Kategorien, samt den Aufführungs- und Akustik- Bedingungen, die Wirkungsprinzipien mit eingeschlossen usw. in einem System leben, das wir auf unterschiedlichsten Ebenen gelernt haben zu realisieren.

Um es überspitzt auszuführen benötigen wir für die adäquate musikalische Ausführung keine mathematische oder physikalische Ausbildung, was
nicht bedeutet, dass auch ich in einem meiner Studien das Fach Akustik belegt hatte und das Wissen teilweise sinnvoll war. Einfach so wie Wissen generell einfach ist.

Die Teilbereiche, die ich oben zitierte sind nur teilweise mit den Mitteln der Arithmetik, der Zahl zu beschreiben, zu definieren, wobei sicherlich die aktuelle Gesellschaft für die Akzeptanz unseres Tuns dies in hohem Masse erwartet, da die Bedeutung der Zahl und ihre oft unseriöse Behandlung über alles gesetzt wird. Künstlerische Prozesse und das jahrelange bzw. fast lebenslange Erarbeiten einer immer höheren Form von musikalischer Perfektion auf allen Ebenen verlangt andere Fertigkeiten um ein großartiger Musiker zu werden, der in der Lage ist, die gesamte Palette der sogenannten klassischen Musik zu realisieren.

Einer dieser Begriffe, der nicht durch eine Zahl, auch nicht durch eine denkbare Logik derselben erklärt werden kann, ist die sogenannte KLANGFARBE. Ich füge unten eine Datei meines Kollegen John Kosmolowsky an mit dem Namen Chromologie, da eine ausführliche Beschreibung dieses Begriffs hier einfach aus zeitlichen Gründen nicht machbar ist.

Klang und Farbe sind Begriffe die eng mit der Instrumentalmusik verbunden sind. Ohne seine Farbe würde der Klang nicht tönen, nicht leben, er wäre tot. Gleichzeitig hat die Farbe des Klangs nichts mit der Farbe der Bildenden Kunst zu tun. Sie werden fragen, mit was dann?

Es gibt zu diesem Thema ein wunderbares Zitat von dem großen, bedeutenden Denker, Komponisten und Erfinder: dem Wiener Arnold Schönberg, welches im Vorwort seiner Harmonielehre steht, veröffentlicht 1911:

„Ich kann den Unterschied zwischen Klangfarbe und Klanghöhe, wie er gewöhnlich ausgedrückt wird, nicht unbedingt zugeben. Ich finde, der Ton macht sich bemerkbar durch die Klangfarbe, deren eine Dimension die Klanghöhe ist. Die Klangfarbe ist also das große Gebiet, ein Bezirk davon ist die Klanghöhe. Die Klanghöhe ist nichts anderes als Klangfarbe, gemessen in einer Richtung. Ist es nun möglich, aus Klangfarben, die sich in der Höhe nach unterscheiden, Gebilde entstehen zu lassen, die wir Melodien nennen, Folgen, deren Zusammenhang eine Gedanken-ähnliche Wirkung hervorruft, dann muss es auch möglich sein, aus den Klangfarben der anderen Dimension, aus dem, was wir schlechtweg Klangfarbe nennen, solche Folgen her-zustellen, deren Beziehung untereinander mit einer Art Logik wirkt, ganz äquivalent jener Logik, die uns bei der Melodie der Klanghöhen genügt. Das scheint eine Zukunftsphantasie zu sein und ist es wahrscheinlich auch. Aber eine, von der ich fest glaube, dass sie die sinnlichen, geistigen und seelischen Genüsse, die die Kunst bietet, in unerhörter Weise zu steigern imstande ist. … Klangfarbenmelodien! Welch feinen Sinne, die hier unterscheiden, welcher hochentwickelte Geist, der an so subtilen Dingen Vergnügen finden mag!“

Klangfarbenmelodien – was für eine künstlerische Dimension dehnt sich hier aus. Was für Sinne, welch ein Geist macht dies möglich.

Hier geht es mehr, unendlich viel mehr, um eine humane Vision wo alles was nicht künstlerisch ist, auf dieser Welt keine Rolle mehr spielt. Es erinnerte mich sofort an den Begriff des Lichtklangs, den Marius Schneider so beschreibt:

„Dieser Lichtklang, der zunächst nur eine rein akustische, leuchtende Welt erschuf, bildet die Ursubstanz alles Geschaffenen. Durch dieses zweite Wort entstanden die Urbilder d.h. Klänge, die durch ihre verschiedenen rhythmischen Gestaltungen für den Geist sicht- und begreifbar wurden. Die
Urbilder, welche die vedische Tradition als Urrhythmen bezeichnet, sind Hörbilder, die zugleich auch das erste Opfer bilden, das durch sein Klingen und Verhallen die Zeit und eine immaterielle Bewegung erschafft. So groß ist nach indischer Lehre die Macht des Klangopfers, dass schon am Anfang aller Zeiten Götter und Dämonen miteinander kämpften, um die Gewalt der
singenden Kraft an sich zu reißen ….. Doch eines Tages entschlüpfte vac den Göttern und ließ sich in den Gewässern, in den Bäumen, den Steinen und schließlich den Trommeln und Zithern, Bögen und Wagenachsen nieder.“


Hier ende ich heute und setze fort. Das letzte Wort gehört dem Meister Rilke.


Herzlich,

Euer Klaus Fessmann


An die Musik
Musik, du mehr als wir
Von jeglichem Warum befreit
Du Sprache wo Sprachen enden
Du Zeit die senkrecht steht
Auf der Richtung vergehender Herzen
Gefühle zu wem?
Oh du der Gefühle Wandlung, in was
In hörbare Landschaft.
Du Freude, Musik
der uns entwachsene Herzraum,
innigstes Unser, das uns übersteigt
hinausdrängt, Heiliger Abschied
da uns das Innere umsteht als geübteste Ferne,
als andere Seite der Luft,
Rein, riesig, nicht mehr bewohnbar.

Rainer Maria Rilke