Interview

Der rastlose Klangkünstler – Ein Interview von tassilo

Liebe Leser, liebe Inskribienten!

für die 33. Ausgabe des tassilo habe ich ein Rote Couch Interview gegeben, das ich Ihnen in meinem neuen Newsletter zur Verfügung stellen will. Für die Aufnahme und Bereitstellung des Interviews danke ich der tassilo-Redaktion.

Iffeldorf | Klaus Feßmann hat außergewöhnliche Begabungen: Er kann Musik bildlich, ja sogar wohnlich darstellen. Er kann Menschen mit Musik heilen. Und durch Klänge aus Steinen Rotwein reifen lassen. Wir durften den emeritierten Professor am Salzburger Mozarteum in Iffeldorf besuchen. Genaugenommen in seinem Atelier, draußen im Garten, vollgepackt mit Gemälden, frischgedruckten Büchern und bis zu 250 Kilogramm schweren Klangsteinen. Wie aus Werken von Mozart und Verdi ein riesengroßer Wohnpark für 2.500 Menschen entsteht? Für welches geniale Integrationsprojekt er den Echo-Klassik-Preis gewonnen hat? Warum ihn Studenten bis zwei Uhr in der Nacht anrufen durften? Und warum es ihn als gebürtigen Nürtinger ins Oberland verschlagen hat? Im großen Interview auf der Roten Couch gibt der heute 69-jährige Pianist, Komponist, Maler, Autor und Klangstein-Experte tiefe Einblicke in sein rastloses Tun, mit dem er immer nur ein Ziel verfolgt: Menschen gesünder, besser und glücklicher zu machen.

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Herr Feßmann, wie klingt ein Stein? Weil ich das häufiger gefragt werde, habe ich immer zwei kleinere Kieselsteine in meiner Hosentasche. Die hole ich raus, und beginne, den einen Stein auf den anderen zu schlagen. Das Geräusch dabei: stumpf. Lege ich jedoch einen der beiden Steine gezielt in die Mitte meiner Handfläche, klopfe mit dem anderen Stein erneut auf ihn, öffne und schließe dabei aber meine Handfläche langsam, ergeben sich bereits erste, sanfte, mal lautere, mal leisere Töne. Was ich damit sagen will: Ich muss mit dem Stein im Ein-Klang, in Resonanz sein, um ihm Töne zu entlocken.

Welches Gestein eignet sich besonders zum Musikmachen? 80 % unserer Klangsteine bestehen aus dem sogenannten Gabbro, einer Granitart, den mein ältester Sohn Hannes Feßmann vor vielen Jahren in Indien entdeckt hat. Es sind graue, poliert dann dunkle, schwarze Steine, die sich gut bearbeiten lassen. Letztlich aber muss ich den Weg finden, um an den Klang im Inneren eines Steines heranzukommen.

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Wie sind Sie überhaupt auf diese außergewöhnliche Idee gekommen, mit Steinen Musik zu machen? Über Lyrik von Werner Dürrson. Er hat einen Gedichtzyklus namens „Höhlensprache“ geschrieben. Aber in Form einer ganz eigenen Sprache, wie ich sie bis dato nicht kannte. Sie war regelrecht vertufft, versintert, steingong, schotterwort, grafisch, blockhaft aufgeschrieben. In jedem Falle nicht im klassischen Stil durchgehender Lyrik mit Versmaßen. Während ich diesen Zyklus las, und dies mehrfach, hörte ich eigene, sehr spezielle Klänge, die Klänge der Steine. Und ich begann, mich auf den Weg zu machen, diese Klänge mit richtigen Steinen in die Welt zu bringen.

Sie haben daraufhin intensiv geforscht am Klangvermögen von Steinen, was bis heute weltweit einzigartig ist. Und ihren ältesten Sohn fest in das Projekt integriert. Um Steine zum Klingen zu bringen, muss man sie aufsägen. Mein ältester Sohn Hannes fertigt die Steine so, damit man ideal damit spielen kann. Erst formt er aus einem ganzen Stück einen rechteckigen oder eiförmigen Stein. Danach wird der Klangstein intensiv poliert. Anschließend sägt er in exakt gleichen Abständen zueinander 30 bis 120 cm tiefe Lamellen ein. Eine glatte Oberfläche ist wichtig, um seine Handflächen beim Spielen nicht zu verletzen. Vor dem Spielen muss man die Hände nässen und einen glatten, hauchdünnen Wasserfilm auf den Stein legen, um jegliche Kraft aus der anschließenden Bewegung zu nehmen.

Wie genau wird denn technisch gespielt? Durch sanftes Berühren und Bewegen des Klangsteins mit der kompletten, ausgestreckten Handfläche, versuche ich die Lamellen in Schwingung zu versetzen. Mit den harten Stellen der Handfläche erzeuge ich die hohen, mit den weichen die tiefen Töne. Auch wichtig: Ich bleibe immer mit der ganzen Hand auf dem Stein. Ohne Druck, ohne Kraft.

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Wie nehmen wir Menschen diese Klänge wahr? Die Klänge der Steine sind speziell und werden von den Menschen sehr intensiv wahrgenommen. Ich denke, sie sind so etwas wie die Urklänge unseres Planeten. Laut Neurologen sind Menschen in der Lage, bis zu acht Klänge gleichzeitig zu spielen, zu hören und zu spüren. Aktuell kann ich bis zu zwölf verschiedene Klänge gleichzeitig spielen – eine Art magischer Moment, den ich mit keinem anderen Instrument so intensiv erzeugen kann wie mit einem Klangstein.

Durch die Schwingungen entsteht ein Resonanzfeld, das sogar heilend wirkt? Musik wirkt generell auf Körper, Geist und Seele, ob sie nun Euphorie erzeugt, Freude, Tränen oder ob sie Gebrechen heilt, das gehört zu unserem Leben dazu. Und dies schon immer. Die erste Flöte wurde in einer schwäbischen Höhle gefunden und ist rund 43.000 Jahre alt. Einiges von dem, was ich durch meine Musik bewirke, konnte naturwissenschaftlich bewiesen werden, vieles nicht. Die Allmacht des heutigen Wissenschaftsdenkens zeigt gerade im Moment ihre Schwachseiten. Um das Beispiel Corona herzunehmen: Wenige fragen: Was muss man tun, was lassen, was stärken? Für mich steht in erster Linie nicht die Forschung nach einem Impfstoff im Vordergrund, ich halte es für viel wichtiger, dass der Mensch sein Immunsystem stärken muss, um diesen Virus auszuhalten, ihn bestmöglich zu verkraften. Und eine der besten Methoden, um dies zu erzielen, ist selbst Musik zu machen. Nachweislich auch das Spielen mit Klangsteinen.

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Gibt es dafür medizinische Beweise? Vor vier Jahren haben wir ein Forschungsprojekt mit dem berühmten Mikrozirkulations-Spezialisten Prof. Dr. Rainer Klopp in Berlin über eine Woche hinweg durchgeführt. Ich habe mit den Probanden an einem speziellen Klangstein nach einem genauen Kompositionsplan gespielt. Die umfangreichen Messungen von Dr. Klopp stellten fest, dass die Wirkung der Schwingungen über die Blutbahnen in sehr viele Bereiche des menschlichen Körpers gehen, unter anderem bis ins Immunsystem vordringen, dies beeinflussen und stärken kann. Die Behandlung unterschiedlichster gesundheitlicher Probleme ist aus diesen Ergebnissen nachweisbar.

Wie stärken Sie Ihr Immunsystem? Ich spiele täglich drei bis vier Stunden Klavier, musiziere dazwischen immer stundenweise mit meinen Klangsteinen, arbeite sehr viel künstlerisch, führe ein liebevolles familiäres Leben, gehe täglich eine Stunde in den Wald zum Laufen und freue mich jeden Morgen, wenn ich aufwache, auf all das, was da noch für mich zu tun ist.

In einer anderen Studie der Klangstein-Therapie wurden 7.000 Behandlungen über sechs Jahre in vier verschiedenen Räumen mit unterschiedlichen Settings durchgeführt und dokumentiert. Wir haben dies in einer geriatrischen Klinik in Esslingen zusammen mit dem leitenden Chefarzt und seinem Team durchgeführt, haben 80 Klangstein-Therapeuten ausgebildet und festgestellt, dass diese spezielle Form der Musiktherapie in vielen anderen Bereichen hervorragend einsetzbar ist. Unter anderem in der Ergo- und Physiotherapie. Das einzige, was uns beim Thema Klangstein-Heil-Kunst noch fehlt, ist eine Doktorarbeit. Das Buch zu diesem Thema schreibe ich seit längerem und wir hoffen, dass es nächstes Jahr fertig ist.

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Wie hilfreich Klangstein Therapie sein kann, hat Ihre Ehefrau Andrea am eigenen Leibe erfahren? Man nennt dies im Volksmund den sogenannten Hexenschuss, ein sehr schmerzhaftes Rückenproblem. Wir wollten eigentlich tanzen gehen, mussten dann aber die Veranstaltung vorzeitig verlassen. Zuhause angekommen, habe ich sie gebeten, sich auf meine Liege zu legen. Ich brachte die Liege mit einem Klangstein mittlerer Größe in Schwingung und arbeitete rund eine Viertelstunde. Danach stand meine Frau auf und sagte: „Unglaublich, das ist wieder komplett weg! Wir könnten jetzt Tanzen gehen.“ Was wir auch taten.

Wie neugeboren fühlte sich auch ein Konzertbesucher von Ihnen. Nach einem Auftritt im Kloster Beuron im Donautal klopfte es an unserer Tür. Drei Herren standen da, bedankten sich recht herzlich für den tollen Abend. Und einer schob noch hinterher: „Übrigens, mein Tinnitus ist auch weg.“

Können mit Steinen auch bekannte Songs nachgespielt werden? Das geht nur sehr begrenzt. Melodien kann ich nicht im bekannten Tempo spielen, Harmonien auf jeden Fall. Die Musikrichtung geht vom Klang her eher in die spirituelle, indische, gregorianische Richtung. Bekannte Klassiker aus der Musikliteratur, oder die Tonleiter an sich, kann man damit nicht spielen. Allerdings habe ich mal eine Bach-Arie mit Klangsteinmusik begleitet. Das hat gut funktioniert.

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Eine witzige Anekdote dazu gibt es noch: Früher habe ich mit einem Freund viel analoge, elektronische Musik gemacht. Als er mich zum ersten Mal mit Klangsteinen spielen hörte, sagt er zu mir: „Weißt du Klaus, du bist schon so ein Typ. Klänge, die du früher mit elektronischer Musik kreiert hast, spielst du jetzt mit Jahrtausenden alten Steinen. Als wäre die Technologisierung umsonst gewesen.“

Wo treten Sie mit Ihren Klangsteinen auf? Aufgrund von Corona habe ich heuer nur fünf Klangstein-Konzerte gespielt. Aber wir waren schon auf der Zugspitze, in Chicago, München, Frankfurt, mehrmals im Fernsehen oder auch hier in der Region. Es gibt darüber hinaus 18 CDs, sechs Bücher und Filmmusik.

Was kostet ein Stein? Der Preis beginnt, je nach Größe, bei 4.000 Euro, hoch bis 25.000 Euro oder mehr. Dazu gibt’s immer ein Handbuch mit über 400 Fotos, die alle möglichen Spieltechniken bildlich darstellen.

Nur fünf Auftritte dieses Jahr. Wie hat sich Corona auf Ihr musikalisches und künstlerisches Berufsleben noch ausgewirkt? In allen anderen Bereichen ehrlicherweise gar nicht negativ. Ich habe so viele Projekte am Laufen, die alle bei mir zuhause umsetzbar sind. Allein dieses Jahr habe ich schon drei neue Bücher herausgebracht.

InterviewWeit vor der Corona-Pandemie: Warum hat es Sie als gebürtigen Schwaben ins beschauliche Iffeldorf verschlagen? Wegen der Liebe. Meine Frau Andrea habe ich im Rahmen einer Silvestertagung in der Evangelischen Akademie in Tutzing kennengelernt. Ich war als Seminarleiter vorne auf der Bühne gesessen im großen Rittersaal, habe vor 150 Menschen mit meinem Klangstein angefangen zu spielen. Dann singt da plötzlich Andrea von ganz hinten über die anderen Teilnehmer hinweg direkt in meinen Klangstein hinein. Das hat mich so fasziniert, dass ich sofort wusste: Ohne diese Frau kann und will ich nicht mehr leben.

Fühlen Sie sich als gebürtiger Nürtinger, südöstlich von Stuttgart, wohl im Oberland? Meine Mutter war Sudetendeutsche. Sie brachte nach Nürtingen Kultur mit, spielte glänzend Klavier, was für die Schwaben jedoch keine Bedeutung hatte. Insofern waren wir nie richtig integriert. Heute kann ich sagen: Egal, wo ich bin, es freut mich immer wieder, hierher nach Iffeldorf zu kommen. In den letzten Jahren habe ich für diesen Ort ein richtiges Gefühl der Heimat entwickelt.

Wie lange brauchen Sie von Iffeldorf nach Salzburg? In der Regel eineinhalb Stunden. Wobei ich die Strecke seit eineinhalb Jahren nicht mehr so oft zurücklege – am 20. Juli 2019 habe ich dort mein Emeritierungsfest gefeiert. 22 Jahre nach meinem ersten Arbeitstag. Es war der 1. Oktober 1997, als ich als Professor für Komposition und Tonsatz am Mozarteum in Salzburg angefangen habe.

InterviewVermissen Sie die Studenten? Ich habe insgesamt 48 Jahre als Lehrer und Professor gearbeitet, immer ein gutes Verhältnis zu meinen Schülern und Studenten gehabt. Aber: In den letzten Jahren ist die Distanz zu den jungen Leuten immer größer geworden. Ich fürchte aufgrund der Digitalisierung. Als ich ihnen aus meinem Leben erzählte, wie ich studiert habe, schauten sie mich an, als wäre ich ein seltenes Tier. Ich bin davon überzeugt, dass man auch im Jahr 2020 noch Bücher lesen sollte. Notationen müssen schließlich im Kopf entstehen, nicht aus einem Computerprogramm heraus.

Klingt so, als hätten Sie mit diesem prägenden Lebensabschnitt gut abschließen können? Das Mozarteum wollte für mich ein Symposium organisieren. Das war gut gemeint, habe ich aber abgelehnt: Keine Anzüge und Krawatten, kein Streich-Quartett von weiß Gott woher, keine Reden. Das bin nicht ich. Trotzdem hatte ich das Gefühl, meine letzte und längste hauptberufliche Stelle nicht wortlos hinter mir lassen zu wollen. Dazu kommt, dass ich keiner dieser Emeritierten sein wollte und möchte, der jede zweite Woche im Institut vorbeifahren muss um zu schauen, ob noch alles in meinem Sinne so weiterläuft. Da kam mir die Idee eines Abschlussfestes: Ich lade alle Leute ein, die ich liebe und schätze und die mein Leben begleiteten. Und jeder soll etwas davon mitbringen, etwas, was er tut. Kunst, Wissenschaft, Musik, ein Instrument, egal was. Es war ein wunderbarer Abschied.

Langweilig wird Ihnen ohnehin nicht. Was verstehen Sie unter einer musikalischen Grafik? Ich merkte in meinem musikalisch- kompositorischen Leben sehr schnell, dass mir die klassischen fünf Notenlinien nicht ausreichen in Sachen musikalische Darstellung, und gleichzeitig, dass ich eine Begabung dafür habe, Musik zu verbildlichen. Das fing bereits damit an, dass ich viele Schüler hatte, die sagten, sie können nicht komponieren. „Aber natürlich“, sagte ich. Eine junge Dame meinte, sie möchte Musik so klingen lassen, wie sich draußen ein Ast im Wind bewegt. „Dann lege doch einen Ast aufs Papier.“ Für andere sind es Farbkleckse, Zeichnungen, Symbole. All das ist musikalische Grafik, die weit über klassische Noten hinausreicht. So etwas zu veröffentlichen, es als Kunst in die Welt hinauszutragen, war damals fast noch eine Revolution.

InterviewDie es bis in die Architektur hineingeschafft hat. In Heidelberg wurde ein Wohnpark namens „Quartier am Turm“ für 2.500 Menschen geschaffen. Mit Ihrer musikalischen Handschrift, in dem Sie Gärten, Zimmer, ja ganze Gebäude nach Opern von Mozart und Verdi mitgestaltet haben? Es handelte sich um eine alte Räderfabrik von Dietmar Hopp, die nach und nach verfallen ist. Er beauftragte zwei Baufirmen, um daraus eine Wohnsiedlung zu bauen. Einen dieser Geschäftsführer kannte ich. Er wusste, dass ich Musik grafisch darstelle. So kam’s zu der Idee, aus der Musik heraus diese komplette Siedlung zu gestalten. Meiner Fantasie habe ich freien Lauf gelassen und losgelegt, Tonhöhen und Rhythmen weltberühmter Opern in Architektur umzuwandeln. Selbstverständlich in enger Zusammenarbeit mit den Architekten. Wir haben Gärten, Zimmer, ganze Gebäude gestaltet. Figaro von Mozart, La Traviata, Aida und Rigoletto von Verdi. Immer mit dem Ziel vor Augen, dass es den Leuten, die dort später einziehen werden, richtig gut gefällt, dass sie sich wohlfühlen und nie wieder woanders hinmöchten. Dafür sind wir sogar nach Italien gefahren, haben uns Gärten, Pflanzen, Pflastersteine der Gassen und Hofeinfahrten angeschaut, dort auch Material eingekauft und es dann so ähnlich in Heidelberg nachgebaut.

Klingt extrem spannend. Und teuer. Spielte Geld keine Rolle? Dietmar Hopp hat damals, so weit ich weiß, 150 Millionen Euro als Kredit insgesamt zur Verfügung gestellt. Und damit alles richtig gemacht. Das Projekt hat 14 Preise gewonnen, wurde in einem Zehntel der Zeit verkauft als andere Wohnbauprojekte in Heidelberg und brachte 300 Millionen Euro ein. Viel wichtiger aber ist: Die 2.500 Menschen, die dort heute leben, sind richtig glücklich.

Nicht nur dieser Wohnpark wurde vielfach ausgezeichnet. Auch Sie persönlich haben diverse namhafte Preise für Ihr facettenreiches Tun bekommen. Unter anderem den Echo-Klassik-Sonderpreis für  Nachwuchsförderung, genaugenommen für ein einzigartiges Integrationsprojekt. Das Projekt heißt „ReSonanz und AkzepTanz”. Ein damaliger Freund hatte eine Patenschaft an einer Schule in Essen. Die stand vor dem Aus, als der letzte Deutsche die Schule verließ und die türkischen Eltern daraufhin gesagt haben: Ohne einen Deutschen ist die Schule endgültig nichts mehr wert. 80 % der Lehrer dort waren im Burn-Out. Zwölf Nationen in einer Klasse. Die Schüler haben sich geprügelt, konnten nicht schreiben, keine Lieder singen, nichts. Daraufhin bin ich nach Salzburg zurückgeflogen, habe drei Kollegen und zehn Studenten ins Boot geholt, bin wieder zurück und habe gemeinsam mit meinem Team dieses Integrationsprojekt entwickelt. Melodie, Harmonie, Rhythmus und Bewegung – daraus besteht griechische Musik, und auch das musikpädagogische Konzept des berühmten Komponisten Carl Orff. Die Kinder haben nach diesem musikalischen Prinzip gelernt, sich zu unterhalten, miteinander zu tanzen, sich kennenzulernen und respektvoll miteinander umzugehen. In nur einem Jahr haben wir unter anderem nachweislich 60 % mehr Rechenkompetenz erreicht.

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Eine weitere Auszeichnung: Der „Stein im Brett“, verliehen vom Bund Deutscher Geowissenschaftler. Dieser Preis bedeutet mir wirklich viel, weil ihn Menschen bekommen, die nicht aus der Geowissenschaft kommen, sich aber in der Forschung an Steinen verdient gemacht haben. In meinem Fall: dass ich Steine zum Klingen gebracht habe, und dafür über viele Jahre hinweg in die Tiefe gegangen bin, unter anderem mit Wissenschaftlern zusammengearbeitet und alles in Büchern dokumentiert habe. Vor allem aber, dass ich damit dutzende Kinder zum Lachen und alten Menschen ein Stück Würde und Lebensfreude zurückbringen konnte.

Namhafte Persönlichkeiten wie Physiker Ranga Yogeshwar, Schriftsteller Frank Schätzing sowie die weltbekannte Organisation UNESCO sind ebenfalls mit dem „Stein im Brett“ ausgezeichnet worden. Rangar Yogeshwar hatte mich mehrmals in seine Sendungen eingeladen. Beim ersten Mal kam er 15 Minuten vor Sendebeginn zu mir und wollte unbedingt mit meinem Klangstein spielen. Das hat ihn dann so sehr fasziniert, dass er mich zwei weitere Male in seine Sendung eingeladen hat. Und genau das ist das Schöne an meiner Berufung mit den Steinen: Ich hatte immer wieder das Glück, Leute kennenzulernen, die auch einfach ihr Ding machen. Zum Beispiel bei tv total mit Stefan Raab oder Bettina Böttinger im Kölner Treff.

Salzburg, Stuttgart, Heidelberg, Köln, Coburg, Essen, Iffeldorf, München. Komponieren, Unterrichten, Malen, Zeichnen, Musizieren. Woher nehmen Sie die Energie? Das gelingt, wenn man das tut, was man liebt. Als ich noch in Stuttgart studierte und in kurzer Zeit ein großes Projekt umsetzen sollte, sagte ich zu meinem Lehrer Erhard Karkoschka: „Aber ich habe nur noch einen Tag, wie soll ich das schaffen?“ Darauf antwortete er: „Sie haben die zwei Nächte vergessen.“ Daraufhin hockte ich mich hin und arbeitete zwei Nächte und einen Tag lang durch – und merkte, dass es ohne Weiteres ging. Dank Adrenalin und weil ich für meine Dinge einfach brenne. Mir war dann später als Professor auch immer wichtig, so zu arbeiten, dass die Fähigkeiten jedes Einzelnen zur Entfaltung kommen. Studenten am Mozarteum konnten mich bis zwei Uhr in der Nacht anrufen, weil ich ohnehin nicht mehr als vier Stunden geschlafen habe.

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Trotzdem gibt es sicherlich Tage in Ihrem Leben, an denen Sie von Musik und Kunst überhaupt nichts wissen möchten. Was dann? Dann mache ich Rotwein. Der Geschäftsführer meines Unternehmens, Peter Lackner, ist Sommelier, hatte eine Weinfirma und sagte eines Tages zu mir: Wenn Du mit Klangsteinen Leute gesünder machen kannst, gelingt es Dir sicherlich auch, Wein besser zu machen. Daraufhin brachte er mich mit einem Winzer vom Neusiedler See zusammen, der schließlich bei meinem Grafiker Klaus Fleckenstein in Dürnhausen mit zwei Mal 300 Liter Blaufränkischem Cabernet auftauchte; ein halbes Jahr lang haben wir mit diesem Wein gearbeitet – haben Klangsteine auf die zwei Eichenfässer gestellt und regelmäßig gespielt, um diese Schwingungen zu erzeugen, das Resonanzfeld aufzubauen. Nach drei, vier Monaten war alles noch mühsam und zäh, wie die monatlichen Proben gezeigt haben. Ab März aber wurde der Wein schon „leichter“. Und ab Juni waren die Werte fantastisch. Wir haben dann noch bis Juli weitergespielt, als der Winzer vom Neusiedler See regelrecht ausgeflippt ist vor Freude: „Ich bin in der 13. Generation auf unserem Weingut und habe noch nie einen so guten Wein gehabt“, schwärmte er. Das sind natürlich Projekte, die sich für mich durch Zufall ergeben, aber wahnsinnig viel Spaß machen.

Welche „Hobbys“ bereiten Ihnen ähnlichen Spaß? Skifahren. Die Kandahar-Abfahrt in Garmisch Partenkirchen fahren meine Frau und ich in genau gleichem Tempo ab – das passt.

Peter Maffay sagte beim Rote- Couch-Interview vergangenes Jahr: Für Musiker gibt es kein Renteneintrittsalter. Sie sind jetzt auch 69. Geben Sie ihm recht? Absolut. Ich habe bereits eine Woche nach meinem Abitur angefangen, Klavier zu unterrichten, um mir mein Studium in Stuttgart finanzieren zu können. Seither arbeite ich. Natürlich wurde ich immer wieder mal gefragt, wann und wie ich das alles mache mit meinen zig verschiedenen beruflichen Bausteinen? Wie ich so leben kann? Daraufhin macht man sich natürlich Gedanken und stellt sich die Frage: Habe ich das Leben vergessen? Aber dieses Gefühl hatte ich nie. Ich lebe nach dem Satz: „Leben heißt Veränderung, sagte der Stein zur Blume und flog davon.“

 (Johannes Schelle)

 

 

Herliche Grüße

Klaus Feßmann