Beziehungssysteme

Liebe, sehr geehrte AbonnentInnen, liebe Freunde,

was, frage ich mich, kann ich als Musiker tun, hinsichtlich all der wichtigen Themen wie Klimaveränderung, steigende Temperaturen, ansteigender Meeresspiegel, Tempolimit, Müllvermeidung etc.?

Alles, um unseren Nachkommen eine Zukunft zu ermöglichen?

Konkret kann ich mich bei einer der Organisationen wie „Friday for future“ anmelden, dort spenden und durch die Teilnahme an Demonstrationen auf die Wichtigkeit der Ziele aufmerksam machen.

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Ich kann auch eines unserer Autos abmelden und die öffentlichen Verkehrsmittel und mein Fahrrad benutzen. Ich vermeide schon jetzt Verpackungsmüll und kaufe nur Produkte ein, die nicht verpackt sind.

Jeder Gelber Sack weniger ist für mich ein Erfolg, denke ich.

Und sonst? Sonst, so denke ich, habe ich mein Leben lang an dem gearbeitet, was humanes Denken ist, Vermeidung von Gewalt und Überfluss.

Ich habe immer alles daran gesetzt, Konkurrenz durch Kooperation zu ersetzen und mich um die für mich außerordentlich wichtige Bedeutung von Klang und Musik, von Materie, Geist und Tönen gekümmert.

Das mag sich etwas sehr idealistisch anhören, ist es aber nicht. Ganz im Gegenteil ist dies ganz und gar real, völlig praktisch.

Die Verbindung von Humanität und Harmonik

Human sein hat viel mit Harmonik, mit Harmonie zu tun.

Harmonie nicht im psychischen oder psychologischen Sinn, sondern im Sinn des Zusammen-Tönens, des Zusammen-Klingens.

Alles das, was auf unserem Planeten, auf jedem Planeten dieses Universums lebt, klingt, tönt, gleich ob wir dies hören oder nicht, verstehen oder nicht. Alles das, was tönt, was schwingt.

Wäre dies nicht so, könnten wir Menschen, die mit uns und auch ohne uns lebenden Tiere und alles, was mit Pflanzen und natürlichen Gegebenheiten zusammenhängt, nicht existieren.

Es gäbe uns nicht, wir könnten nicht überleben.

Erst die vielfältigen und teilweise äußerst komplexen Schwingungsformen und Schwingungskombinationen, die wir als Resonanz bezeichnen, ermöglichen unsere Existenz. Und die aller anderen Lebewesen und jeglicher Materie, die durchaus geistvoll ist, nicht leer und tot.

Und hier kommt das ins Spiel, was ich in meinem letzten Newsletter über die Kieselschule ausgeführt habe: Es geht auf allen Ebenen um die Verbindungen untereinander, um das, was man so völlig lapidar die BEZIEHUNGEN nennt.

Musik: Ein System der Beziehungen

Hier ist es gar nicht notwendig, riesige Hirngespinste zu bemühen. Es reicht aus, wenn wir vor dem Spiegel stehen und uns selbst anschauen, uns fühlen, uns hören, uns berühren.

Meistens tun wir das erst, wenn einer der Beziehungspartner in uns ausfällt, man Schmerzen bekommt, ohnmächtig wird, in die Klinik als Notfall eingeliefert wird.

Dann, wenn wir ehrlich zu uns sind, begreift jeder von uns, dass das jeweils eigene persönliche Beziehungssystem einen Schlag abbekommen hat und wir uns damit, mit dem Thema unseres eigenen Beziehungssystems, zu beschäftigen haben.

Die seit langem im Abendland herrschende Meinung, Krankheiten isoliert, ohne den Gesamtzusammenhang zu behandeln, prägt das gesamte System dieser Menschheit. Diese Einstellung ist letztendlich in seinem Kern für den gesamten aktuellen Wahnsinn, die gesamte Perversion, die wir jetzt haben, verantwortlich.

Musik, und das sage ich nicht nur, weil ich Musiker und davon überzeugt bin, ist das beste Beispiel für das System der BEZIEHUNGEN, das Paradigma an sich.

Wenn wir sagen, wir kennen das Stück, die Komposition so und so, zum Beispiel Beethovens 5. Symphonie oder „We are the Champions“ von Queen oder „Hallelujah“ von Leonard Cohen, dann kennen wir nicht jede Note, sondern wir kennen die Melodie, wir kennen das, was wir Musiker als Thema bezeichnen.

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Und diese Melodie, dieses Thema ist der Kern, der eigentliche Einfall dieser Komposition.

Alles andere zu dieser Melodie, die Harmonien, die Dreiklänge, die dann dazukommen, der Rhythmus des Schlagzeugs, die Bass-Lines, der geordnete Ablauf wie das Bluesschema oder die Sonatenform – all das ist aus diesem Thema entwickelt, kommt hier hinzu.

Und alles andere, die Instrumentation, die Lautstärken, die Klangfarben etc.: Alles das ist von diesem Thema, das wir singen können, abgeleitet.

Und keiner dieser sogenannten Parameter ist unabhängig vom anderen.

Und alles zusammen, wohlgeordnet und sinnlich-, sinnvoll logisch in BEZIEHUNGEN zusammengefügt, ergibt das Ganze der 5. Symphonie, des „We are the Champions“, des „Hallelujahs“.

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Beziehungen muss man lernen

Das geht natürlich nicht in den Schädel der meist emotionslosen Politiker hinein oder versteht der nur Profit orientierte Unternehmer nicht, da der eine nur an Macht denkt und der andere nur an Geld.

Natürlich ist das pauschal, was ich hier erzähle, aber trotzdem stimmt es nahezu immer. So wie ich es in der vergangenen Woche in der Talkshow von Maybrit Illner sah: einen gefühllosen Politiker der aktuellen Regierung und einen der aalglatten, wie immer austauschbaren Unternehmer.

Typen, bei denen ich schnell weiterzappe, da der Schwachsinn nicht auszuhalten ist.

Wie frisch dagegen die junge Dame Carla Reemtsma, ein Mitglied der neuen aktiven Bewegungen.

Sehr gut informiert, nicht dogmatisch aber extrem engagiert, der Schriftsteller Frank Schätzing und eine sehr gute Politikerin der Grünen.

Ergo und Ziel für mich nach den vielen kleinen Ausschnitten, die ich ansah: Es geht nicht um Wirtschaftswachstum sondern um Gesundschrumpfung.

Das ist sinnvoll zu gestalten.

BEZIEHUNGEN muss man lernen, man muss sie üben, täglich, auch die Beziehungen der Klänge untereinander.

Auch die Schulen, die am besten ohne Kultusministerium und Minister existieren und autonom zusammen ihr Beziehungssystem entwickeln sollten, müssen wieder dringend auf diesen Boden zurückkehren.

Auf den Boden, den ich in Indien an der Highschool for Music and Dance Kalakshetra vor vielen Jahren erfahren habe.

Es war die eigentlich völlig normale Ordnung eines Tages, das Treffen aller Lehrer, Schüler, der Verwaltung, der Direktion, der Köche morgens um 8 Uhr im spiralförmigen Morgenplatz beim gemeinsamen 1/2-stündigen Meditieren.

Danach ging jeder an seinen Platz, arbeitete nach einem genauen, letztendlich von den Wahrnehmungen der Musica Mundana in der Verbindung zwischen Musica Humana und Musica Instrumentalis erlernten Ablauf der Welt.

Das Beziehungsgeflecht der sieben freien Künste

So wie es eine Ordnung des täglichen Auf-und Untergehens der Sonne gibt, so wie alle Zyklen dieser Welt unabhängig von den Regierenden in ihrem Beziehungsgeflecht zusammenarbeiten, so gab es hier gemeinsame Pausen, gemeinsame Abläufe, gemeinsames Ayuvedisches Essen mit anschließender gemeinsamer Ruhe und Erholung.

Das ist ein praktisches Beispiel für einen gesunden, erlebten und gelebten Tag. Der genauso gelebt wird, wie die Beziehungsordnung der Musik das Weltganze definiert.

Dies war oder ist aber nicht nur in Indien so. Das System der im Abendland entstandenen sieben freien Künste war und ist, wie ich denke, immer noch das Paradigma für das aus dem griechischen Denken heraus entstandene Beziehungsgeflecht für alle Berufe, für jegliches Tun und jegliches Leben.

Jeder Architekt, jeder Arzt, jeder Wissenschaftler, jeder Lehrende, jeder Musiker hatte seine Ausbildung, seine Bildung nicht als isolierter Fachmann oder -frau zu erledigen, sondern er oder sie hatten die folgenden Fächer und ihre Beziehungen zu studieren:

  • Arithmetik
  • Geometrie
  • Musik
  • Astronomie
  • Logik
  • Rhetorik
  • Grammatik

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Und diese Fächer stehen nicht unabhängig voneinander in der Welt, sondern bedingen sich gegenseitig, sind Beziehungen, die auseinander hervorgehen.

Und so wie eine Band, ein Ensemble, ein Streichquartett, ein Chor nur funktionieren, wenn ein funktionierendes Beziehungssystem dies ermöglicht, so ist das Studium dieser oben bezeichneten Bereiche kein isoliertes Studium, sondern ein Studium der Zusammenhänge.

Natürlich verlangt dieses Bemühen den Willen, den Mut und die unendliche, alles verbindende Liebe, das Alpha und Omega allen Seins, Denkens und Tuns. Natürlich erträgt dieses Bemühen kein hasserfüllter und angstbesessener Bewohner dieses Planeten.

Man muss den Katheder herausziehen, mit dem unser Planet geplündert wird!

Er gehört keiner Privatperson, gleich welchen Standes, welcher Religion und welchen Vermögens.

Verantwortung übernehmen

Mir fiel vor 30 Jahren durch die Gedichte eines der großartigsten Lyriker dieser Welt, dem Freund Werner Dürrson, die Aufgabe zu, meine Kräfte und Begabungen der Materie Stein und deren nicht nur mit Füßen getretenen Klängen zu verschreiben.

Es war und ist die schönste, die vertrauensvollste Aufgabe, die mir zuteil wurde. Ich lebe sie täglich mit ununterbrochen wachsender Demut.

Demut vor und Liebe für die herrlichsten Klänge, die ich, ohne die geringste Kraft, ausschließlich durch die Bewegung meiner Hände in diese Welt bringen und sie über diese ausschütten darf.

Ich habe für diese Steine die Verantwortung übernommen, so wie ich es auch für meine Ehefrau, meine Kinder tat, den Freunden entgegenbringe in dieser unendlichen Liebe und dem Vertrauen in einen Planeten, den es zu hegen und pflegen gilt.

Ihn von diesen Perversionen zu befreien, denen er heute ausgesetzt ist durch diejenigen, die sich angemaßt haben, sich ihn ihnen untertan zu machen.

Ich sah vor vielen Jahren zum ersten Mal in den Bauch der Steine, durch die Dünnschliffe von Jörn Kruhl, die Lichtgesteine von Konrad Götz und die Äonenlichtklänge von Urs Furrer.

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Das ist die durch den schmutzigen Mantel des Steines geschützte Erkenntnis alles Seins, alles humanen Denkens, des Ehrfurcht gebietenden großen Geheimnisses dieser Welt, noch weit über dieses Universum ins Unendlich-Gehende hinaus.

Das ist das Nada Brahma, die Welten der Klänge und der Musik, die immer schon die Ordnung aller Beziehungen waren, da es ihre eigene Sinnlichkeit ist.

Die Macht des Klangs

Ich habe mich im letzten Jahr daran gemacht, diese Zeichen der Klänge ganz vorsichtig aus den Steinen zu lösen und sie in die Unendlichkeit dieser steinernen KlangMusik wieder Menschen, die sich Humane Wesen nennen können und dürfen, wieder nach und nach zu Gehör zu bringen.

Um an die Zeit zurück zu denken, wo am Anfang aller Zeiten die Götter und Dämonen darum kämpften, die singende Kraft an sich zu reißen, da dieselbe die höchste Macht beinhaltete.

In einem unbeaufsichtigten Moment konnte diese Macht fliehen und sich in den Gewässern, den Bäumen, den Wagenrädern und den Steinen niederlassen.

Diese Klänge waren laut Mythos unsichtbare Wesen, die durch die Luft flogen und die höchste Form von Wesenhaftigkeit besaßen. So wie die Klänge, die Musik es ist.

Unsichtbar mit der größten Kraft versehen.

Und so wie Paul Simon zu mir vor über 10 Jahren in Chicago sagte: „Man, you are the only man in the world, who is touching the sound.“

Und heute ist es wieder an der Zeit, diese Klänge zu befreien und sie in die Welt zu bringen.

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… und sie vor den heutigen Dämonen zu schützen, denjenigen, die jeder kennt, die ich nicht benennen muss. Es geht auch nicht um Personen sondern um Denken, Fühlen, Handeln.

Wer die Steine reden hört
weiß
es werden nur Steine bleiben

Wer die Menschen reden hört
weiß
es werden nur Steine bleiben

… schrieb Erich Fried.

Das ist die Sprache, die es zu singen gilt, nicht die durch falsches Sprechen in Verruf geratene.

Und wir sollten es mit dem Friedrich Hölderlin halten, der, das möge man nicht vergessen, im Beethoven-Jahr, im selben Jahr 1770 wie der große Komponist geboren wurde:

„… mich erzog der Wohllaut des säuselnden Hains und lieben lernte ich unter den Blumen …“
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Steinerweichend

Ihr Klaus Fessmann