Der Zauber des Anfangs

Liebe Leser, liebe Inskribienten, liebe Musiker, liebe Welt!

Der Anfang eines neuen Jahres ist, wie Hermann Hesse in seinem Gedicht „Stufen“ schreibt, immer etwas besonders.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Der erste Monat im Jahr, der Januar, der Jänner – wie er in Österreich und Südtirol fast ausschließlich genannt wird – kennt veraltete Namensformen wie Schneemonat, Eismond, Wintermonat oder Wolfsmonat. Der Name kommt aus der römischen Zeit, vom zweigesichtigen römischen Gott Janus und steht für Anfang und Ende, für die Eingänge und die Ausgänge, für die Türen, die Doors, eine meiner Lieblingsbands aus den 60ern. James D. Morrison, der legendäre, charismatische Sänger dieser Band bennante sie, soweit ich mich erinnere, nach dem Satz von W. Boroughs: „There is nothing inside, there is nothing outside, but between are the Doors“.

Irgendwann kannte ich so gut wie alle Songs der Doors, die ich leider nie life sah, auswendig. Ich sammelte alles von Ihnen, die ganzen Lyrics, war natürlich auch auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise am Grab von Morrison, zu dem noch in den 80ern und 90ern täglich Hunderte von Gleichgesinnten hinreisten, dort herumsaßen, die Gitarre auspackten und die Songs sangen.

Das Verbindende der „Doors“

Ob das heute noch so ist, weiß ich nicht, ich war schon lange nicht mehr in Paris. Der Song „The End“ fällt mir dabei ein, von dem ich fünf Versionen auf einer alten Kassette habe – die meisten davon sind von Flohmärkten, von Typen, die mit ihren Kassettenrecordern die Konzerte aufnahmen und für wenig Geld dann die Kopien verkauften. Bootleg nannte man das damals. So erstand ich auch die LP des letzten Konzerts der Doors auf der Isle of Wight, ein paar Wochen später war Morrison tot. Das exzessive Leben war nicht für lange Zeiten gedacht, er wurde 27 Jahre alt.

„When the music’s over,
When the music’s over, yeah
When the music’s over,
Turn out the lights
Turn out the lights
Turn out the lights
Yeah“

– und am Schluß der fromme Spruch –

Before I sink
Into the big sleep
I want to hear
I want to hear
The dream of the butterfly

Das Immaterielle der Kunst

Der Januar, der Anfang, hatte dieses Mal außerhalb meines eigenen inneren Lebens wenig Zauber inne, er war gemacht für’s Aufräumen, das dann tatsächlich zu dem führte, was Hesse mit „Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten“ meinte. Das gelang wunderbar. Auch der nächste Satz erfüllte sich „An keinem wie an einer Heimat hängen“, das trat tatsächlich
ein, nur als ich weiterlas,

„Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.“

wurde mir etwas merkwürdig zu Mute, wobei sich dies ausschließlich auf den „Weltgeist“ beschränkte. Und hier dann wieder auf den „Geist“ der mir doch, je länger mein Leben dauert, doch sehr heftig abhanden kommt. Gibt es ihn überhaupt noch, diesen Geist? Außer als Himbeer- oder Zwetschengeist muss man ihn schon heftig suchen gehen, den Geist. Und bei der realen Vorstellung eines WELT-GEISTES wird’s mir gerade ziemlich übel. Da wende ich mich mit Grausen ab und pflege meine Innerlichkeit, umgebe mich ausschließlich mit Menschen, die ich liebe und schätze und die tatsächlich noch Geist haben. Ich mache Musik, erstelle Bücher, Kunstwerke und LEBE.

Zauber

Leben im atmenden Morgenrot

Es ist wunderbar, zu leben – gleich was da so um einen herum geschieht. Morgens den Sonnenaufgang, das atmende Morgenrot, wie es Marius Schneider nennt, zu hören, die frische Winterluft zu atmen, den ersten Tee zu schlürfen, das Feuer im Ofen zu entzünden, wach und intensiv spürend in den Tag zu gehen. Was gibt es zu tun? Immer noch genügend. So viel wie möglich Musik machen, für ihre Bedeutung in dieser Gesellschaft arbeiten, daran zu drehen, dass das Leben dem nahekommt, was der Erich Fried in seinem Gedicht Inschrift schreibt:

Wenn die Mächtigen
auf vernünftige Worte hören
dort sind die Klugen
gegeneinander gerecht
dort schwimmen die Steine
und retten ertrinkende Fische
dort können die Alten
und Jungen einander verstehn.

Die Jahreswende, die Wochenwende, die Monatswende, die Jahreswende, die Jahrhundertwende, alles das sind Zyklen, die für unser Leben, unsere Existenz von immenser Bedeutung sind. Ich liebe und lebe die Regelmäßigkeiten und dies gerade auch auf der Basis des Immateriellen der Musik, die man auf kein Bankkonto häufen, noch in die Garage sperren kann. Ich liebe die Steine, die für mich das Symbol der Unendlichkeit, der Ewigkeit, der Weite und der galaktischen Dimension sind. Das hört sich sehr vermessen an, ist aber noch viel viel größer als hier, mit schnöden Worten in primitiver graphischer Gestalt vermittelt. Ich ordnete mein erstes Buch mit all den Vorarbeiten, die ich in vier Leitzordner fasste, wieder neu
ein und fand Texte, die ich vergessen hatte. So zitiere ich hier, bevor ich noch einen Text als Datei am Schluss dieses ersten Newsletters des Jahres 2021 einfüge, diesen Text:

Zauber


Klang, eine Beschreibung

Alles was lebt, schwingt, tönt und klingt. Klang gehört zu Allem, zu jedem Menschen, jedem Gegenstand; jedes Element ist mit Klang versehen, bei jedem Phänomen finden Sie ihn. Er, der Klang, beschreibt die Eigenschaften der Dinge dieser, Ihrer Welt in tönender Hinsicht. So wie alles auf einem Material gebaut ist, eine Farbe, Dichte und Form besitzt, auch Geist und Sinn, so gehört der Klang dazu. Er kann hart oder weich sein, seine Form geordnet, quadratisch, rechteckig, wohlproportioniert, strukturiert, chaotisch. Er hat eine Farbe, der Klang, eine blaue, eine gelbe, rosa, violette Farbe, er hat eine Ausdehnung, ist groß oder klein, dünn, dick oder beides, und er kann tönen, schallen, pfeifen, schreien, sich einschmeicheln, wohltun. Er, der Klang, ist der männliche Teil zur weiblichen (die) Musik in unserem Sprachgebrauch, ist das yin und yang des Tönens der Welt. Die Klänge entstehen in der Natur und folgen deren Gesetzen. Wir Menschen verbinden uns mit ihnen, spüren sie, fühlen sie, nehmen ihren Puls auf, leben in ihrem Rhythmus, tauchen in ihre Harmonien ein und werden dadurch Teil der Welt, nehmen an den Klängen des Kosmos teil.“

Soweit dieser Text, das Buch kam 2008 bei Südwest heraus. Mein erstes Vorwort sollte von den Lektoren nicht akzeptiert werden, ich finde es aber nach wie vor wunderbar, deshalb füge ich es hier an.


Herzlich,
bleibt’s g’sund und stärkt Euer Immunsystem mit den KlangSteinen

Klaus Fessmann

KlangSteine – Vorwort

Chinesisches Zeichen für Klingstein

Ohrenlicht
In der chinesischen Kultur ist man mit dem Klang der Steine seit langem vertraut. Der Klingstein t´e-ch´ing und sein Klang waren heilig, er war das Symbol für die Ewigkeit. Die Chinesen spürten den Klang der Steine als eine Form der Erleuchtung, welche sich im Ohr ereignet. Sie nahmen ihn als die Anknüpfung an den Klang der Harmonien des Kosmos wahr. Es war ein Klang jenseits der Zeit, ein Klang der Wahrheit und der allumfassenden Kraft. Es war der Klang der Schöpfung. Sie bezeichneten ihn als Ohrenlicht, als das Licht der Erleuchtung, welches sich ereignet, wenn die Klänge der Steine im Ohr wahrgenommen und die eigenen Sinne in erleuchtende Bewegung versetzt wurden.

stonehenge
Vor Jahren, es war November, spielten wir mit den KlangSteinen in Bath im Süden Englands. Ein milder, sonnenverwöhnter Spätherbst tauchte damals die Wiesen, Flüsse, Seen und die alten Steingebäude des weitläufigen universitären Campus in kräftige Farben. Unsere KlangSteine aus der Schweiz brachten die Gebäude in Resonanz, versetzten sie in Schwingung. Die BBC meldete sich noch in der Nacht, hatte von den Steinen, den Rocks gehört, wollte berichten. Ungläubig standen sie morgens vor dem Serpentinit, berührten ihn, spürten die Vibration. „We have to bring you to stonehenge,“ schlugen sie vor. Nach kurzweiliger Autofahrt standen wir vor den mir inzwischen vertrauten Gebilden der altehrwürdigen Anlage. Das Wetter hatte gewechselt, der Winter zog auf, es stürmte in stonehenge. Wind pfiff um die Steine, tauchte das ganze Ensemble in Klang, ein ständiges Konzert der Elemente. „Can you make music with these stones?“ – „Sure,“ sagte ich, „you already hear it.“ Real Rock Music nannten sie es am Abend in der Sendung.

Atelier
Im Atelier, dort wo die meisten und klangvollsten Steine der Welt stehen, hatten wir Besuch aus der Schweiz. Es ging darum, die Kirchen am Rhein zu bespielen, sie wieder in Klang zu versetzen. Die Serpentinite mit ihrer Schlangenhaut sind im Schweizer Engadin zu Hause, hier im Schwäbischen fühlen sie sich wohl. Sie sind befreit vom Druck der Massen, die auf diesem Gesteinskörper lasten. Der Druck prägt die Festigkeit, beim Spielen lassen wir ihn weg. Es genügt, den Stein an der vorderen Lamelle nur leicht seitlich zu berühren, um den ersten Klang im Raum zu hören. Unser Gast war tief berührt, als der Klang sich wieder in den Stein zurückgezogen hatte. Er begann vom Echo in den Schweizer Tälern zu erzählen, welches seine Kindheit prägte. Je nachdem, wie es tönte, wußte er, wo er war und ob noch genügend Zeit ist nach Hause, bevor das Wetter sich ändert. Das Echo der Wiesen, der Hölzer, des Wassers und, das Bedeutendste, das Echo der Steine. Hier, sagte er, tönen sie, klingen sie, öffnen sie sich und geben uns Ein-blick und Ein-klang. Ich hörte das Gedächtnis der Erde, schloß er.

Musizieren mit Paul Simon

Staaten
Im Spätsommer spielten wir in den Staaten. Drei Wochen waren die Steine unterwegs gewesen nach Chicago. Zum ersten Mal kamen auch die indischen Steine mit, besonders das Klang-Ei, welches mein Sohn Hannes in genialer Weise in Indien geschnitten hatte. Nach der Generalprobe kam Paul Simon, der nach uns spielte, mit seiner Band. „Nice to meet you, you´re welcome.“ Paul setzte sich neben mich ans Klang-Ei, war erstaunt – „incredible, what are you doing“, er war verblüfft, fasziniert – „where are the sounds coming from?“ – hier, direkt aus dem Stein – „put your hands on the stone“ – bat ich ihn, er fühlte, spürte, verstand unmittelbar die Dimension des Klangs – „that´s great man, fantastic, unbelievable,“ sagte er und schlug vor: „I sing I am a rock, I am an island and you play with the stones.“ – „Sure“, antwortete ich. „These are the sounds we always wanted to hear,“ meinte er. Vier Wochen später waren die Steine wieder wohlbehalten zu Hause. „I am a rock,“ hatte Paul gesagt. „Sure,“ dachte ich.