Kunst und Realität

Liebe Leser, liebe Inskribienten, liebe Musiker, liebe Welt!

In letzter Zeit kam ich mit dem Schreiben nicht so richtig vorwärts; die Sprache wollte nicht das in Worte fassen, was sich in meinem Kopf tat, was mir meine Musik beim Spielen erzählte.

Heinrich Heine

Seit Wochen bin ich beschäftigt mit meiner Ausstellung in Bad Tölz, die eigentlich im November hätte stattfinden sollen, nachdem die Schein-Riesen unserer Gesellschaft wieder einmal in ihrer Einfalt nicht auf sehr viel kamen, außer das Großkapital zu subventionieren und die Kunst, die Musik und den Sport zu vernichten also blieb auch das Museum in Tölz zu.

Heinrich Heine

Dichtung und Realität

„Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“ dichtet Heinrich Heine. Einer der wirklich großen deutschen Dichter, lieber nicht Fürsten, nein auf keinen Fall; irgendwelche Schmarotzer haben wir auch heute noch.

Politiker, liebe Leser, mag ich nicht und habe sie noch nie gemocht. Das hat nichts mit einem Politiker persönlich zu tun, ich kann aber niemanden leiden, der Macht ausübt ob er oder sie dabei nur so tut oder auch nicht, ist mir völlig egal. Sicherlich ist es gut, dass wir in keiner ,Diktatur‘ leben, sondern dass das, was hier in Deutschland aktuell lebt und herrscht, eine Art Demokratie ist. ein großer Begriff mit einer unglaublichen Geschichte, die sich letztendlich über das Recht hinsichtlich des Phänomens Freiheit definiert. Und wenn es auch nur die Freiheit ist, wählen oder nicht wählen zu gehen. Der Rest ist mir ohnehin, um aktuell zu sein, ohnehin viel zu Lauterbachisch.

Heinrich Heine

Kunst des Seins

Meine künstlerische Tätigkeit, mein Sein in dieser Welt, sei es das Componere, das Zusammenfügen von klingenden Phänomenen, sei es das Spielen von sogenannten Instrumenten, von Klangerzeugern wie das Klavier oder der Flügel, wie die Gitarre, die Trompete, das Alphorn oder der KlangStein; sei es das Malen, Zeichnen, Erfinden von Zeichen für meine Klänge, sei es das Schreiben von verbalen Äußerungen, Lauten, klangvollen mündlichen Mitteilungen, sei es das Componere von Farben, Formen auf Papier, Leinwand; all das tu ich, für mich und für diejenigen die daran Anteil nehmen, für die Zuhörer, Zuschauer, für alle Menschen, die dafür in ihrem Sein einen Sinn erkannt und ausgebildet haben – das ist mein Sein.

Dieses, mein Tun ist meine eigene, meine künstlerische Realität, in ihr lebe, denke, fühle, liebe ich. Hier bin ich Denker, Spürer, Visionär, sehe und höre die Dinge dieses Planeten auf den Ebenen des eigenen Seins. All das hat nichts mit Macht, mit monetären Anhäufungen zu tun, nichts mit Statussymbolen; es ist das zutiefst humane Sein. Dieses tätige künstlerische Sein, das bei mir primär aus der Musik kommt, fördert ein Denken, das außerhalb der sogenannten rationalen Bewältigungslogik liegt – wie sie Harnoncourt bezeichnet. Und weiter schreibt er:

„Die Kunst ist keine hübsche Zugabe – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein.“

Heinrich Heine

Um diese Nabelschnur nie abbrechen zu lassen, nie zu verlieren, die uns nährt und erhält, ist es notwendig, die Sinne, die eigenen Sinnesorgane zu schulen, zu hegen und zu pflegen. Das geschieht nicht in der Welt der Nützlichkeitslogik – in der Frage „Was bringt mir das?“ oder dergleichen. Die Wissenschaft ist im Reich des Geisteslebens immer die unterste Stufe (siehe Egon Friedell).

Kunst für das Sein

Über dieser Wissenschaftsebene erhebt sich das „Reich der Kunst. … Nur so viel wird sich mit einiger Berechtigung sagen lassen, daß die Musik in der Tat den obersten Rang unter den Künsten einnimmt: als die tiefste und umfassendste, selbständigste und ergreifendste, und daß unter den Dichtungsgattungen das Drama die höchste Kulturleistung darstellt, als eine zweite Weltschöpfung: die Gestaltung eines in sich abgerundeten, vom Dichter losgelösten und zugleich zu lebendiger Anschauung vergegenwärtigten Mikrokosmos.“

Heinrich Heine

Mein Tun als Sprachrohr

Ich bemühe mich seit einiger Zeit darum, diesen Newsletter als ein tönendes, sehendes ‚Musik-Gefäß‘ zu erfinden, um etwas von dem zu vermitteln, was dieses Tönende ist. In meinen beiden Büchern Ohrenlicht I und II bin ich diesem Ziel schon sehr nahe gekommen. Vielleicht so wie im alten China die Musik verstanden wurde:

„Aller Töne Anfang liegt am Herzen des Menschen
Des Menschen Herzen bewegen die Dinge von außen
So entsteht das Gefühl, das sich in Klänge formt,
Die sich wandeln wie dieses.
Töne nennt man die Ordnung der Klänge.
Erklingen diese, abgestimmt aufeinander,
Dazu des Tanzes Bewegung
Mit Speer und Schild, mit Flöte und Federn,
Dann nennt man dies alles Musik.“

Heinrich Heine

Die ersten vier Zeilen sind eine der wichtigsten zu Sprache gewordenen Gedanken, die dieses Phänomen Musik sein könnten. Dieses „Aller Töne Anfang liegt am Herzen des Menschen“ ist einer der wunderbarsten Aussagen über das, was Musik ist sowie was die Beziehung zwischen Musik und Mensch ist. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Der Musik am nächsten in der Sprache ist natürlich nicht die Prosa, sondern die Lyrik. Lesen Sie täglich einmal ein Gedicht, möglichst laut. Alleine einer meiner Lieblingssätze, „Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion“ von Ingeborg Bachmann, reicht, um diesen Anfang aller Töne an meinem Herzen zu spüren.

Heinrich Heine

Verbindung von Musik und Sprache

So verstumme ich jetzt nicht, sondern überlasse den Schluss Heinrich Heine, der – für mich als Musiker – im Zyklus Dichterliebe, komponiert von Robert Schumann, eine der großartigsten Verbindungen von Musik und Sprache in die klingende Welt gebracht hat.

Ich springe in das erste Caput von Deutschland. Ein Wintermärchen hinein:

Ein neues Lied, ein besseres Lied
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch
Was fleißige Hände verdarben.

Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja. Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.

Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,
So wollen wir euch besuchen
Dort oben, und wir, wir essen mit euch
Die seligsten Torten und Kuchen.

Heinrich Heine

Ein neues Lied, ein besseres Lied!
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Das Miserere ist vorbei,
Die Sterbeglocken schweigen.

Die Jungfer Europa ist verlobt
Mit dem schönen Geniusse
Die Freiheit, sie liegen einander im Arm
Sie schwelgen im ersten Kuss.

Und fehlt der Pfaffensegen dabei,
Die Ehe wird gültig nicht minder –
Es lebe Bräutigam und Braut,
Und ihre zukünftigen Kinder!

Ein Hochzeitskarmen ist mein Lied,
Das bessere, das neue!
In meiner Seele gehen auf
Die Sterne der höchsten Weihe –

Begeisterte Sterne, sie lodern wild,
Zerfliessen in Flammenbächen –
Ich fühle mich wunderbar erstarkt,
Ich könnte Eichen zerbrechen!

Seit ich auf deutsche Erde trat,
Durchströmen mich Zaubersäfte –
Der Riese hat wieder die Mutter berührt,
Und es wuchsen ihm neu die Kräfte.

Heinrich Heine

Herzliche Grüße und lasst Euch keine Angst einreden, bleibt’s g’sund und singt’s so viel Ihr könnt.

Klaus Fessmann,
der Musiker, der Denker, der Mensch