Oruc Güvenc’ Pilgerfahrt auf diesem Planeten ist zu Ende gegangen. Er überschritt vor einiger Zeit die Schwelle und ging in die andere Welt.
Ich habe ihn seit unserem ersten Zusammentreffen nie mehr vergessen. Er ist mein täglicher, geistiger, herz-lichster Begleiter. Er ist ein Weiser, ein Meister.
Er war und ist jemand, der – wie seine Frau Azize schreibt – jedem ein Stück Liebe ins Herz gepflanzt hatte. Auch mir.
Und er musizierte auf der allerhöchsten Ebene.
Über ihn zu schreiben kann ich nur, indem ich über die Beziehung von mir zu ihm nachdenke und diese versuche, in Worte zu fassen. In wohl bedachte Klänge der mir möglichen Wortfindungen.
Meine Cousine, welche diesen Weg schon vor zehn Jahren ging, erzählte irgendwann Oruc Güvenc von mir und mir von ihm.
Sie hatte nach wilden Lebenszeiten Anfang der 70er Jahre Erol Denec, einen türkischen Maler, der ganz aus dem orientalischen Sufismus heraus lebte, in Wien kennen und lieben gelernt. Erol Denec und Oruc Güvenc waren Freunde und auf vielen Ebenen geistige Brüder.
Es dauerte seine Zeit bis er und ich unsere geistige Verbindung durch das persönliche Aufeinandertreffen vertiefen konnten.
Seine Sprache schwebte zwischen Französisch, Türkisch und Deutsch. Ich hatte Probleme, ihn zu verstehen. Bis ich begriff, dass ich nur dem Klang derselben zuhören musste, um ihn zu verstehen.
Schließlich trafen wir uns auf einem Seminar der altorientalischen Musiktherapie. Ein Gemeindezentrum in der Heidelberger Gegend. Über 40 Teilnehmer unterschiedlicher Nationen saßen auf den Kissen und er, ein kleiner Mann in größter Ruhe und Ausstrahlung, zwischen ihnen.
Er begann mit mir sofort über Musik zu sprechen. Über die Bedeutung der orientalischen Tonsysteme, über das Klang- und Tondenken, über das Wesen von Klangschwingungen. Alles ohne Einleitung, ohne mühevolles Abtasten – eine Wohltat für mich in meiner eigenen Klangwelt.
Nach ungefähr einer Stunde lud er mich ein, seiner musiktherapeutischer Arbeit beizuwohnen und Teil derselben zu sein. Alle legten sich auf den Boden und Oruc begann mit einer orientalischen Flöte leise zu spielen.
Ich war damals darauf bedacht, alles rational zu kontrollieren und versuchte sehr genau zu beobachten, was er tat.
Doch dieses Mal hatte ich keinerlei Chance, es zu tun. Schon nach kürzester Zeit hatte er es mir ermöglicht, zu fliegen.
Das Bild des fliegenden Teppiches begleitet mich heute noch, wenn ich mich an das Gefühl erinnere. Ich schwebte in einem faszinierenden farberfüllten Bilderrausch durch die Atmosphäre und nach ungefähr 20-30 Minuten ließ er mich sanft und wohlbehalten landen.
Monate später erhielt ich eine Einladung zu einer Konzertreise mit ihm und seinem Tumata-Ensemble in die Türkei.
Ich flog mit einem meiner KlangSteine nach Istanbul (er musste am Fenster angeschnallt sitzen), wurde gleich nach der Ankunft in die Musik-Proben für die Reise einbezogen und am zweiten Abend spielte ich mit dem Ensemble das erste Konzert.
Dieses Mittönen veränderte mein Leben.
Was geschah? Während des letzten Stücks, an dem ich mit dem KlangStein mitspielen konnte, saß plötzlich Oruc neben mir auf dem Boden und spielte sich mit der Flöte in meine Ohrmuschel hinein.
Ich hörte mich nicht mehr tönen, ich nahm mich selbst gar nicht mehr wahr. Ich war auf einer völlig anderen Ebene des musikalischen Denkens angekommen und ließ mich in diesen Fluss gleiten.
Tranceähnlich stand ich nach dem Stück auf und ging nach draußen. Plötzlich stand Oruc neben mir und meinte, ob ich nicht an der einen Stelle einen anderen Klang spielen könne. Dieser würde zu scharf riechen.
Ich war irritiert, schloss die Augen, sog die Luft durch meine Nase ein und versuchte herauszufinden, wie meine Klänge riechen. Es gelang mir nicht.
Ich wusste zwar wiederum rational, dass der Geruchssinn der unmittelbarste der menschlichen Sinne ist, dass Düfte direkt auf das limbische System, in dem die Emotionen und Triebe gelenkt und verarbeitet werden, wirken.
Aber riecht Musik?
Hat sie einen Geruch?
Oruc führte mich über die Gewürze, den Pfeffer, das Curry in diese Welt ein und verglich sie mit den Gefühlen, welche die Musik auslöste.
Was für eine Welt öffnete sich hier!
Sätze wie: „Immer der Nase nach“, oder „jemanden nicht riechen können“ erhielten plötzlich eine ganz andere Bedeutung.
Und wie, dachte ich, riecht Mozart für mich?
Ich summte das Thema der Nachtmusik und sog die Luft dabei ein. Eine Art Frische der Bergluft breitete sich für mich aus. Das war mein Mozartgeruch, zumindest bei der Nachtmusik.
Ich erfuhr durch dieses Erlebnis, dass ich keinen wirklichen Wortschatz für diesen Geruchssinn hatte. Dass ich immer nur vergleichen musste.
Es riecht wie …. eine Zitrone, ein Apfel, wie ein Gewitter, wie Regen?
Wie riecht Bach? Wagner? Hendrix?
Ich war in einer ganz anderen Welt angekommen. Gleich, ob man sie orientalisch nennt oder irgendwie anders, sie öffnete mir ganz andere Sinneswahrnehmungen.
Am nächsten Tag stiegen wir früh in den Bus und ein Ensemble von Musikern aus vielen Teilen der Welt machte sich auf die Reise über Ankara nach Kapadokien, wo wir auf einem der berühmten Berge ein unvergessliches Konzert spielten.
Ich höre und rieche noch jeden Klang in mir. Und ich sehe immer Oruc dabei.
Er, der mich zu meiner Verblüffung am Morgen nach dem letzten Konzert nicht nur zum Flughafen brachte, sondern mit mir bis nach Istanbul flog und mich erst dort für meinen Flug nach Deutschland verabschiedete.
Als ich fast beschämt nachfragte, warum er dies tat, kam die Antwort: „Das ist Teil unserer orientalischen Höflichkeit.”
So stand ich dann später irgendwie außerhalb der Reihe vor dem Schalter und als eine deutsche Stimme hinter mir in scharfem Ton sagte, ich möge mich doch in die Reihe stellen, überlegte ich sehr ernsthaft, ob ich den Rückflug antreten sollte.
Ich flog schließlich doch mit zurück und begann zu Hause täglich zu üben, wie Musik riechen kann.
Es lohnt sich dies zu tun.
Nicht nur deshalb bedanke ich mich bei Dir, Oruc, für alles was zwischen uns geschehen durfte!
Als er ging, erschien sein Buch „Mevlana und die Gottgeliebten” auf Deutsch. Hier können Sie es sich genauer ansehen oder auch kaufen.
Möge es von vielen Menschen gelesen werden!