In meinem letzten Eintrag sprach ich über den unvergleichlichen Musiker Leonard Cohen.
Für mich war er nicht nur ein begnadeter Melodiker, sondern auch ein wunderbarer Melancholiker.
In Biographien von Musikern wird die Melancholie, dieser etwas ältliche Begriff, heute gern als Depression beschrieben.
Ist Depression das, was früher Melancholie war?
Wenn Depression als eine Krankheit gilt, ist dann Melancholie auch eine?
Muss man depressiv sein, um ein guter Künstler zu werden? Oder melancholisch?
Gemütskrank wie Friedrich Hölderlin, verrückt wie Robert Schumann, lebensuntüchtig wie Gustav Mahler oder chaotisch wie Hugo Wolf?
Für mich sind solche künstlerischen Genies, gleich wie sie das Leben bewältigt haben, gerade diejenigen, die sich mit den wesentlichen Dingen des Lebens beschäftigen.
Gemäß dem Satz, welcher vom Dirigent N. Harnoncourt stammt: „Die Kunst ist keine hübsche Zugabe, sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Menschsein“.
Ich, als Künstler und Mensch, sehe, höre, fühle und empfinde die meisten Dinge ganz anders als meine Mitmenschen. Dies führte schon in meiner Schulzeit dazu, dass mir für Aufsätze, die ich aus meiner eigenen Welt heraus schrieb, einige Ohrfeigen verpasst wurden. Ich sollte gefälligst aus der Realität berichten!
Diese sogenannte “Realität” interessierte mich aber nie. Ich bin unter anderem Musiker und Künstler, weil mit und wegen Musik, Kunst und Gedichten keine Kriege geführt werden. Niemand betrogen und belogen wird, niemand hereingelegt werden kann.
Weil ich Instrumente entwickle, nicht um zu töten, sondern um zu leben. Ich erfinde Kunst, um die Menschen so zu bereichern, dass sie ihr Potential entfalten können.
Ich arbeite an der Entwicklung von Welten, in denen es mir, meiner Partnerin, unseren Kindern und unseren Freunden gut geht. In denen wir lieben, leben, wachsen und gedeihen können.
Genau wie Suzanne:
Suzanne takes you down
To her place near the river
You can hear the boats go by
You can spend the night beside her.
And you know that she’s half crazy But that’s why you want to be there
So öffnen wir Künstler unendlich viele verschiedene, gehaltvolle und erfüllende Welten, Ebenen und Sphären. Wir deuten Lebensentwürfe an, erweitern das Denken, ermöglichen hohe spirituelle Erfahrungen.
Wir komponieren dazu Musik, schreiben Gedichte, malen Bilder. Mit dem Ziel, diese Lebensarten, an denen zu arbeiten ist, unter die Menschen zu bringen und sie weiterzuentwickeln.
Wir wissen, dass nicht jede Gesellschaft den Künstler, den sie benötigt, auch schätzt. Die Diktatoren dieser Welt setzen die Musik zu ihren kriminellen Zwecken ein.
Auch ist unter der Herrschaft von Terrororganisationen der diversen bekannten Länder eine Existenz als Musiker nicht nur unmöglich, man läuft sogar Gefahr sein Leben zu verlieren, wenn man singt und spielt.
Dagegen war der Musiker im alten China engster Berater des Kaisers und konnte mit seiner Kunst die humane, lebenswerte Ordnung wieder zurückbringen.
In Indien saßen die Musiker neben den Göttern. Und sogar in Deutschland gab es einst einen Staatsrat für Kultur im Kabinett.
Der Satz: „Zeig mir die Musik eines Staates und ich kenne den Zustand desselben!“ stammt aus dem alten China.
Ich nehme Musik nie als depressiv wahr. Vielleicht als tief, als weich, human, schön. Auch hektisch kann sie sein, melodiös, harmonisch, auch spirituell und geistvoll.
Lyrik kann ähnlich phantasiereich, klangvoll, liebevoll, vertrauensvoll sein. Mit einem Wissen, dass wir eine Zukunft haben, für die es sich lohnt zu sein, zu leben, zu singen, zu schreiben, zu spielen.
Then she gets you on her wavelength
And she lets the river answer
That you’ve always been her lover
And you want to travel with her
Ich legte in meinem künstlerischen Tun einiges auf die inneren Waagschalen. Ich arbeitete an den ethischen Prinzipien, den humanen Bedingungen und kämpfte für eine Gemeinschaft von Menschen, die gewaltfrei miteinander umgehen können.
Das war mir wichtig.
So spielten wir im Advent und an Weihnachten diese einfachen Lieder, die wie die Melodien der Gregorianik klangen und wurden aus den Kirchen geworfen. Was uns aber nicht daran hinderte wieder hineinzugehen.
Diese ruhigen einstimmigen Melodien, diese Wiederholungen der Töne. Dieses Gehaltsvolle, Lebendige, dieses Schwebende, dieses hochgradig Humane.
Das alles blieb in mir erhalten, als ich wieder mehr Mozart spielte. Die Schönheit der Melodie, die ich bei ihm liebte.
Die langsamen Sätze der Sonaten, durch die ich wieder in den Mittelpunkt meines Lebens trat. Dort, wo ich mit meinen Fingern singen konnte. Dort wo die Lyrik die Töne der Tonarten war, wo die Schönheit sich aus dem Tastengrund herausmeißelte.
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Später kamen dann die Steine zum Flügel, zu den Tasten. Eine ganz andere, eine neue Welt. Die Melodien aber ganz langsame ihrer Art, eher Bewegungen der Flächen, der Atmosphären. Mit dem Wogen der Wellen hin und her und übereinander vergleichbar.
Hieraus öffneten sich einzelne Klangtöne, neue Farben, ein neues Denken und eine andere Klangwelt. Die großen Wolken und Wogen bestimmten meine neue Klangerfahrung, die Zeit dehnte sich, die Welterfahrung wurde unendlich weit und mehrdimensional.
Die Zeichen des Steins…
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Vor Jahren, bei einem Konzert mit den Steinen, begegnete ich der Sängerin Andrea Letzing und dem Harfenisten Georg Baum. Wir gründeten das Ensemble Laetare und machten uns im Jahr 2014 daran, eine Adventsmusik zu komponieren, die genau das für mich ist, was ich mit der obigen Melancholie verbinde.
Hier können Sie sich eines unserer Adventslieder anhören.
Es ist eine Musik der stillen Zeit, der „staaden Zeit“ wie man in Bayern sagt. Es ist eine Zeit der Stille, der Kerzen und der Erwartung.
Es ist eine Musik der erfüllten Ruhe, so eine Musik des „Now Suzanne takes your hand – And she leads you to the river…” Nur dieses Mal mit dem Heiland, der den Himmel aufreißt. Dem Schiff, das geladen kommt. Der Seel, die zu singen anfängt. Der Maria, die durch den Dornwald ging.
Diese Musik hat für mich diese erwartungsvolle Freude, eine tiefe Sehnsucht dorthin, die jenseits der Weihnachtsmärkte lebt. Sie ist die Erwartung des Lichts, das man im tönenden Morgenrot wiederfindet, welches mit der Winter-Sonnenwende wieder eine neue Dauer erhält.
Viele dieser alten, volkstümlichen Adventslieder besingen Maria: Die Frau, welche die Verheißung des Engels hört und die mitten im Winter die Rosen zum Erblühen bringt.
Allen Adventsliedern ist dieses Humane, dieses ehrliche Grundgefühl des besonderen Friedens eigen. Der Friede, den der Engel mit einer Lilie in der Hand verkündet. Der Friede auf Erden, der so weit weg zu sein scheint.
Für dessen Leben ich Musik mache, spiele, töne und mit diesen Klängen ihn in seiner Kraft und Empfindlichkeit stärke und am Leben halte. “Da pacem” heißt es bei uns.