Über die Entstehung der Musiknoten

Als um 600 n. Chr. Papst Gregor I. seine Klöster anwies, den kirchlichen Gesang, der damals noch einstimmig war, nicht nur zu singen, sondern auch aufzuzeichnen, begann die Musik des Abendlandes.

Natürlich wurde schon immer musiziert, wie wir auch durch die Forschung in den Höhlen rund um das schwäbische Blaubeuren, bekannt durch den Blautopf und die Erzählung von Eduard Mörike, wissen.

Vor über 42.000 Jahren wurde dort schon mit einer 5-tönigen pentatonischen Flöte, die aus Schwanenfedern geschnitzt war, Musik gemacht. Diese Flöte wurde restauriert, nachgebaut und ist seit jeher im Heimatmuseum in Tübingen zu bewundern.

Man kann auf den Nachbauten spielen, kann hören wie die Töne klingen. Nur was das für eine Musik war, die in der Zeit der Entstehung der Flöte gespielt wurde, zu welchem Zweck sie gespielt wurde und was für eine Bedeutung sie hatte, das verbleibt großteils der Spekulation.

Ein entscheidend wichtiges Element fehlte (noch) in dieser Kette, etwas, an das die damaligen Menschen nicht gedacht haben und noch gar nicht denken konnten.

Es war ein schriftgewordenes Zeichen, welches diese Musik festgehalten hätte. Dies zu tun, war die Leistung des Papstes Gregor.

Er ließ das Sehen, neben dem Hören, als weiteres Sinnesorgan in die musikalische Realität eintreten. Dies von den Mönchen zu verlangen, muss ein revolutionärer Vorgang gewesen sein. Vergleichbar mit dem erstmaligem Auftreten von Instrumenten in der Musik im 16. Jahrhundert.

Zeichen
Ein Zeichen an sich klingt nicht und kann nicht wie zum Beispiel eine Flöte klingen. Es verweist auf den Klang, es symbolisiert ihn, es regt den Betrachter über das sehende Sinnesorgan an, dieses Zeichen in Klang und in Musik zu transformieren.

Es weist durch seine Struktur, seine Art, seine Farbe und seine Dichte auf die Klänge hin.

So taten es diese ersten, frühen Zeichen. Sie waren keine Noten die mit den heutigen vergleichbar wären. Sie schrieben den Text, zum Beispiel das Kyrie Eleison, mit den Buchstaben ab und platzierten darüber Zeichen, die den Vorgang des „Dirigierens“ imitierten, indem sie die Bewegung der Hände des Leiters der Schola zeichneten. Diese Schriftzeichen nannte man Neumen.

Die Zeichen waren die Bewegungen der Hände. Sie zeigten die Bewegungen der Tonhöhen, ließen die Stärke assoziieren, die Artikulation, die Arme, die Hände, die Finger gestalten die Musik.

Sie werden gestreckt, ziehen sich zusammen, kreisen, zeichnen Wellen nach, öffnen den Klang-Raum, dehnen ihn, schließen ihn wieder. Der Körper des Dirigenten unterstützt dies, er atmet die Bewegungen, er steht auf dem Boden, der ihn und seinen Klang stützt.

Zeichen
Diese Bewegungen, diese Zeichen verstand und versteht jeder Mensch. Er kann sie sofort imitieren, er hört daraus, er weiß, wann er einsetzen muss, wann er wie zu singen hat. Es ist die tiefe Einheit zwischen den Musikern, der Musik und allen Menschen, die diese hören und sehen.

Sie, werte LeserInnen, können beim Zuschauen die Bewegung der Musik mitfühlen, mithören, miterleben. Dies ist Ihnen möglich, weil sie ihre Sinnesorgane verwenden können, um all das zu verstehen.

Zu verstehen, dass die Schallwellen des Hörens sehr sehr langsam sind, die Wellen des Sehens dagegen ungeheuer schnell. Und dass die Bewegungen Zeichen sind, die man tanzen, gehen, zeichnen, atmen kann. So kann Musik gelebt werden: Man kann sie mitsingen, innerlich und laut, wenn man möchte…..

….. und so begann die Verbindung von Musik und Zeichen, von Sehen und Hören, von singender und tönender Bewegung. Eine Verbindung, die jeder versteht, die jeder bei sich wiederfindet, die in jedem von uns angelegt ist, sinnlich erfahrbar, sinnvoll erlebbar.

Die Musik dieser Zeit, die mit dem Papst Gregor begann, nennen wir seitdem die Gregorianik, die Musik der unbegleiteten Einstimmigkeit. Ganz Atem, der bei den Kadenzen wieder Luft holt und wechselt zwischen dem Melismatischen und dem Syllabischen.

Zwischen dem Gesang, der eine Silbe über viele Töne hinweg zieht und dem Gesang, der jeder Silbe einen Ton gibt.

Mein Kloster war, solange ich im Schwäbischen wohnte, das Benediktiner Kloster Beuron im Donautal. Wenn Sie dort in der Gegend wohnen, besuchen Sie dasselbe! Tauchen Sie ein in diese wundervolle Musik!

Und wenn Sie irgendwo anders wohnen, suchen Sie nach einem Kloster, in dem dieser Gesang gepflegt wird. Schauen Sie sich dort die bewegten Noten an, lesen Sie sie mit in den Gesangsbüchern oder im Schauen auf den Leiter der Schola, der Ihnen zeigt was zu singen ist.

Sehen und Hören, Hören und Sehen – im gegenseitigen Bedingen.

Die Musik der Bewegung.