Mozart

MozArt II

Je mehr ich herumkomme, um so weniger kann ich zuhören, es langweilt mich zunehmend, sehr schnell entlarve ich für mich die Hingabe, die Feinheit des sogenannten Schönen als vordergründige Mache, als falsche innermusikalische Show.

Hier war ich immer für Verbote, für Berechtigungen des Spielens und des Hörens und daran ist der Amadé durchaus schuld und Verursacher. Ihn zum Begriff zu bringen, zum Ponte und Fonte* und wie dies alles der fleißige Theorie-Kollege zu Stuttgarter* Zeiten erdachte und verlangte, war fleißig beeindruckend aber letztendlich sinnlos, da sinnlich auch hier nicht spürbar.

Schon wenn ein Pianist den Finger hob, wollte ich den Saal verlassen und meistens verließ ich ihn auch, mir grauste schon beim Hinsehen vor diesem Ton, das was ich dann zu Hören bekam war fast immer, zumindest seit Michelangeli, Arturo Benedetti eine Frechheit und ich blieb lieber zu Hause, trotz der Unterrichtsfolter, die mich über Jahre hinweg begleitete.

Mozart

Mozart als Hörprobe

Mozart ließ ich so gut wie keinen Schüler spielen, nur hin und wieder, wenn jemand Aufnahmeprüfung machen wollte, dann ja, dann unter allen Umständen. Schon beim Thema verhielt ich mich völlig unnachgiebig, der erste Ton, der Auftakt* bei der späten D-Dur-Sonate* geriet geradezu zur Drohgebärde meiner selbst, der Schüler verlor ob der Unnachgiebigkeit, die ich demonstrierte, schließlich jegliche Lust an der Tätigkeit und suchte das Weite (er begleitet heute in der Waldorfschule den Eurhythmieunterricht, was Strafe genug ist).

Die Ingrid Häbler*, die ich sehr schätzte, hörte ich manchmal auf den alten Langspielplatten, später eher selten, Manfred Hehl* jagte mich in der Pubertät durch die Sonaten und sie sind es, die mich ausmachen, die Klaviersonaten von Mozart. Die hatte ich fast alle gespielt, bevor ich bei Paul Buck* den 1- und 2-stimmigen Satz hören und spielen lernte, das war zunächst das wichtigste und zuerst trocken am Tischchen in Raum 14 im 3. Stock der Stuttgarter Musikhochschule*.

Mozart

Klang und Mélange

In die Fingerkuppen geriet die Feinheit, bis ich mich nur noch auf einen einzigen Ton der c-moll-Sonate* konzentrierte, nur einen einzigen Ton pro Tag spielte, diesen aber stundenlang vorbereitete. Auf der Fensterplatte im Zug, in der Mensa auf den kleinen Tischchen, in der Luft, wo immer dies möglich war, jedes Mal spürte ich den Ton, von mir innerlich gedachthört im Finger, meistens dem Mittelfinger. Und danach die erste Bestürzung des realen erlebten Klangs am Klavier, zelebriert wie die kindliche Weihnacht, wie die Mélange* im Salzburger Tomaselli* früh um halb Acht im Winter, wenn der Herr Hofrat beim äußerlichen Schneetreiben die Eier im Glas schlürft. Lang bevor die XXL-Verehrer auftauchen, die Regenschirmphotoapparate ihr Unwesen treiben, dort wo man unseren werten KüssdieHandgästen den Weg nicht kreuzen darf ohne Gefahr zu laufen, von Schuhgröße 35 in Massen zertreten zu werden. Aber gleich is es eh, obs kommen odr net, mir sain jo eh doah, denkt der Herr Ober, genießt die Ruhe und die Gäste, die jeden Tag zur selben Zeit hier sind. Und wenn´s Wolferl zur Dür einekommd, gibts an Bunsch. Das ist Salzburg, so lieb ich es, es ist wie Mozart eben ist, und man hat ihn zu studieren (wie Salzburg wiederum).

Einen Ton pro Tag, einen einzigen wichtigen, bedeutenden Ton, einen Taminoton*, einen Violin-konzertA-DurTon, so wie das Vorspiel sich ausbreitet, einen ViolinkonzertA-DurEinleitungsTon, einen B-DurTon der Sonate 333, eines der schönsten Stücke die ich kenne, mit den unglaublichen Vorhalten, die von oben herabperlend kurz vor der Auflösung anhalten. Das muss man beim Verlängerten auf der Tischplatte üben, wenns noch dunkel ist draußen und der Flügel noch nicht geöffnet, wo man sich noch vorbereitet  auf den Tag, ihn riecht, den Klang, der vorauseilt, keine schnöde Lieblichkeit versprüht, sondern Fingerbeweglichkeit fordert bei den Albertibässen*, Spirit, Geist und Resonanz.

Mozart

Die Dreieinigkeit des (Drei-)Klangs

Die Dreieinigkeit des Dreiklangs, die trias harmonichae*, die 1-3-5, nicht horizontal, nicht vertikal, sondern im Zickzackmuster 1-5-3-5 mit dem kleinen Finger, dem zumeist schwächsten beginnend, sich auf ihm im strukturellen Gewicht über die 4 Sechzehntel oder Achtel stützend, verlangt den senkrechten Auftreffpunkt auf die Mitte der Taste. Zumeist in der kleinen Oktave, dort wo die Saiten langsam träger werden, von den 3-Saitern zu den 2-Saitern übergehen. Die Saite darf durch den Hammer nicht gepresst werden, die 84 Kleinteile vom Finger bis zur Taste müssen reibungslos ineinander-greifen und den vorgestellten Ton und Klang in der durch die vorherige Hebung des Fingers vorgedachten sichtbaren Weise auf die Taste vorgeplant bringen, über den Anschlag hinweg den Ton weiterdenkend, im Verklingen ihn in den nächsten heben, dessen Aufgabe schon hier vorgedacht wird, die 5, die Quint, gespielt meist vom querstehenden Daumen, der nicht mit der Kuppe auf die Taste trifft, sondern mit den Seitenteilen, man hat seine Derbheit auszubügeln!!, ihn feinst zu bedienen, da er ansonsten nicht Mozart sondern Corea* spielt, den Offbeat, den wir hier nicht annähernd hören wollen.

Stütze nach wie vor auf dem kleinen Finger, über die ganze Trias-Quartett-Haftigkeit hinweg, der schwache Kleine hat es zu bewältigen, nicht autoritär, nein, verantwortungsbewusst dem Schwachen dieselbe übermittelnd, und dem folgt der Mittelfinger mit der 3*, entweder der großen oder der kleinen, die große meist in zurückhaltender Weise, da sie eh schon schwingt und strahlt, dies sollte nicht übertrieben werden, die kleine sehr leicht, sie wird so schon kaum ertragen, erreicht ihre geschlechtsweise Definition in der Eigenfarbe der Melancholie. Die 3 hat wie nachgeschoben zu wirken, nach der Vorstellung, auch noch dasein zu wollen oder eher zu müssen, so wie in etwa die Bratschen im Orchester, die folgende 5 ist das Feinste und Gefährlichste in diesem Quartett.

Mozart

Das Instrument im eigenen Innern

Wieder gespielt vom querliegenden Daumen beendet sie die 4er-Gruppe, ohne sie rhythmisch-zeitlich beenden zu können, wird doch das Ende solch eines Gebildes immer von der Eins bestimmt. Sie schließt hauchfein ab und spielt in sich schon wieder auftaktig auf die nächste Eins hin, ein Zwitter quasi, ein Zwilling ist der Daumen angewiesen zu spielen, um wieder den kleinen Finger vorzubereiten.

Dies alles ist zu realisieren in höchster Exaktheit, auf die Tausendstelsekunde genau, der Anschlag des Fingers auf die Taste darf im Grunde gar nicht erfolgen, er ist gespürtes Mitnehmen der 84 Teile* auf dem Weg in den Tastengrund, dieser wieder Teil des Vorgangs in den schwingenden federnden Umkehrpunkt, welcher aber kein  Punkt sondern eine Ellipse ist, leicht gestreift eher als umgekehrt, hier schon längst den nächsten Bewegungsvorgang vorausdenkend, ihn spürbar werden zu lassen im Kopf, durch die Schulter, den Oberarm, Ellbogen, Unterarm, das Handgelenk, die Hand bis vor zu den Fingern, den Fingerspitzen mit all ihren Empfindlichkeiten. Der Klang, der Ton wird gespürt in allen diesen Teilen des Körpers, nach-gedacht, voraus-gedacht, der Moment bedacht, sich selbst wahrgenommen. Und dies alles in extremster Genauigkeit, Farbe, Rhythmus, Metrum*, das Instrument, sich selbst im eigenen Inneren, um die Trias zu erspüren, erfühlend, kein Ton darf zu lang sein, keine Millisekunde zu lang, auch natürlich nicht zu kurz, keine Lücke darf gehört werden, kein Staccato* nur im Anfühlen erahnt werden, die Verbindung ist preziös.

 

So viel für heute – im nächsten Newsletter erscheint die Fortsetzung.

Bis dahin,
Herzliche Grüße

Ihr Klaus Fessmann

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Register:

  • Ponte und Fonte: Ein spezieller historischer Begriff in der Sonatentheorie
  • Auftakt: ist ein rhythmisches Phänomen. Beginnt ein Stück nur mit dem letzten Puls eines Taktes, dann spielt man es auf den ersten Ton des ersten Volltaktes hin, man spielt auf den Volltakt hin.
  • D-Dur-Sonate: Die letzte Sonate von Mozart mit dem KV 576 ist eine in D-Dur stehende Sonate und beginnt mit einem Auftakt.
  • Ingrid Häbler: ist eine der führenden österreichischen Pianistinnen und Mozartspezialistinnen. Ihr Spiel hat mich sehr beeinflusst.
  • Manfred Hehl: war in Nürtingen mein Musik- und Klavierlehrer
  • Paul Buck: war in Stuttgart mein Klavierprofessor. Bei ihm habe ich alles Pianistische, alles Interpretatorische, Musikalische und Humane auf der Basis des Klaviers gelernt.
  • Stuttgarter Musikhochschule: Hier begann ich 1972 zu studieren, machte 1977 mein Staatsexamen und 1982 meine Komposition Reifeprüfung. Danach war ich dort bis 2000 Dozent für Musiktheorie
  • c-moll-Sonate: Die c-moll-Sonate zusammen mit der vorausgehenden c-moll-Fantasie von Mozart waren im Studium die wichtigsten Stücke, bei denen ich alles gelernt habe, was Mozart betrifft.
  • Mélange: ist eine österreichische Spezialität für die Mischung von Kaffee und Milch. Speziell aus Wien kommt die Form der Mélange mit einer kleinen Haube Schlagobers dazu.
  • Tomaselli: ist eines der ältesten und berühmtesten Cafés in Salzburg, öffnet um 7 Uhr morgens und strahlt zu jeder Tageszeit und zu jeder Jahreszeit eine nicht zu beschreibende, selbst zu erfahrende Atmosphäre aus.
  • Taminoton: ist der Ton der mir, aus der Zauberflöte kommend immer im Kopf und Körper verbleibt, gleich wo ich bin und was ich tue. Das Bildnis ist bezaubernd schön wie dieser Ton und es stehen mir nach wie vor die sogenannten Haare zu Berge, wenn ich nur daran denke.
  • Albertis: Albertibässe sind die typische Begleitung seit der Wiener Klassik. Benannt nach seinem Erfinder Domenico Alberti werden die Töne eines Dreiklangs nicht gleichzeitig gespielt sondern nacheinander. Nimmt man die drei Töne 1 = Grundton, 3 = Terz, 5 = Quint dann spielte man die Töne nacheinander in der Folge 1 – 3 -5, 1 – 3 – 5 oder 1 -5 – 3 – 5 – und wiederholt diese Figur mehrfach.
  • Trias harmonica: ist sowohl ein wunderbarer Kanon von Bach als auch ein Terminus aus der Ars Musica der Barockzeit, dass die Einheit von Melodie, Harmonie und Rhythmus wohlbeordnet sich auf die Einheit von Leib, Seele und Geist definiert durch die Affektenlehre auswirkt.
  • Corea: Chick Corea ist ein großartiger Jazzpianist und Komponist.
  • 3: Die Drei ist in der Zahlensymbolik die umfassende Synthese. Ich zitiere nach der christlichen Trinität von Vater, Sohn und Heiligem Geist noch Laotse, der schreibt: „Das Tao erzeugt die Einheit, die Einheit erzeugt die Zweiheit, die Zweiheit erzeugt die Dreiheit – die Dreiheit erzeugt alle Dinge.“
  • 84 Teile: Die Klaviermechanik besteht von der Taste bis hin zur Saite aus 84 verschiedenen Teilen aus unterschiedlichen Materialien. Das komplexe perfekte Zusammenspiel dieser ganzen Kleinteile ist, jenseits der künstlichen Intelligenz ein Paradigma für die Künstlerische-Handwerkliche Intelligenz der Instrumentenbauer.
  • Metrum: ist die Bezeichnung für die Betonungslehre der Rhythmik. Alles was in der Musik verwendet wird, wurde zuvor schon in der Sprache festgelegt und mit einem Begriff versehen. Die Begriffe lauten: Jambus, Trochäus, Daktylus und Anapäst.
  • Staccato: Ist eine „Anschlagsart“ des Klavierspielens und des Musizierens an sich. Es beschreibt einen kurzen, prägnanten Ton, dessen Farbe und Lautstärke damit noch nicht definiert ist, sondern nur seine zeitliche Kürze.